Hey, Du schöne Seele!
Ich empfinde Wut. Ich empfinde Trauer. Aber mehr dazu gleich.
Mein Buch „Wie ich den Islam verließ, um Muslim zu werden“ ist nicht einmal ein Jahr her und ich denke oft über meine Entscheidung nach und frage mich, ob das wirklich so radikal sein musste. Es hätte auch anders laufen können, höre ich von meinen Mitmenschen. Diplomatischer, weicher, weniger kantig. Obwohl ich mich als einen harmonischen, diplomatischen Menschen bezeichnen würde, scheine ich in meinem bisherigen Leben in bestimmten Situationen immer wieder auch ein direkter, klarer und radikaler Mensch zu sein. Immer dann nämlich, wenn es um Prinzipien geht.
Wenn ich so darüber nachdenke, dann hatte ich auch keine andere Wahl, als diesen Schritt zu gehen. Es war anders nicht möglich. Es bedurfte diese scharfe Grenzziehung, diese Klarheit. Denn es ist ein sich durch die gesamte etablierte Religion ziehendes Unrecht, was religiöse Autoritäten den Massen lehren oder genauer gesagt, verkaufen.
Und seitdem? Seitdem ist es eine Transformation, die ich mir nie hätte erträumen können. Wie soll das auch gehen? Schließlich gehört es zu den Gesetzmäßigkeiten des Lebens, nicht in die Zukunft blicken zu können – selbst wenn wir es wollten. Es muss erst eine Tür geöffnet werden, damit man erlebt und versteht, wohin die Wege des Lebens führen sollen und welche Erkenntnisse und Weisheiten auf uns warten. Und trotzdem bleibt die Tür nicht selten verschlossen. Weil wir uns nicht trauen, sie zu öffnen. Aus Angst davor, Fehler begehen zu können, die wahrscheinlich keine sind. Aus Angst vor den Reaktionen unserer Mitmenschen im System, dem wir uns zugeschrieben haben. Verständlich. Wer erträgt es schon gerne Zorn, Abweisung und Kritik von Menschen, die einem am Herzen liegen.
Dennoch: Welche Bedeutung haben dann eigene Prinzipien, wenn man sich stets um die Befindlichkeiten anderer sorgt und diese als Maßstab für eigene Entscheidungen nimmt? Und genau das war mit ein fundamentaler Beweggrund, diesen Weg zu gehen. Über die Prinzipien selbst nachzudenken. Sie zu hinterfragen. Denn wie so oft im Alltag verlassen wir uns auf Verständnisse und Glaubenssätze, mit den wir uns nie wirklich auseinandergesetzt haben.
Meine Wut und meine Trauer richten sich an jene Haltung, die Menschen mit Wissen und über einen Zugang zu Informationen, die der Masse nicht zustehen, verfügen. Der Masse bleibt nur das Vertrauen auf die Wissenden, den religiösen Autoritäten. Sie vertrauen ihnen, dass sie die aufrichtigen, ehrlichen, transparenten Auserwählten sind, die ihnen die Botschaft Gottes so übermitteln, wie sie von Gott gedacht ist.
Wenn Du mein Buch gelesen haben solltest, dann weißt Du, dass ich bereits viele Stationen mit etlichen Ereignissen passierte. Denn mein Leben verlief in turbulenten Bahnen. Dazu gehören meine Zeiten zwischen meiner Kindheit und Jugend, in der ich als »schwarzes Schaf« auffiel, meine Eher, in der ich vor acht Jahren zum Familienvater wurde. Vom Referenten bei Hochschulgemeinden und Moscheen zum Instagram-Influencer und Radiogründer und -host. Vom wissenschaftlichen Mitarbeiter zum Ethik-Manager, vom pädagogischen Mitarbeiter zur Lehrkraft für Deutsch. Vom Psychiatrie-Patienten zum angehenden Heilpraktiker für Psychotherapie.
Bei all diesen Stationen spielte der Glaube eine Rolle. Und bei den meisten verstand ich immer wieder, welche Auswirkung der Glaube auf mich hatte: Angesichts des offensichtlichen Unrechts nicht zu schweigen. Ich lernte den Glauben immer mehr und mehr zu lieben. Denn der Glaube wusste mich, zu befreien. Er erinnerte mich stets an die einzige Instanz, vor der ich Angst haben sollte. Der Glaube verschob sie weg von den Autoritäten und ihrer spürbaren, aber doch scheinbaren Macht, hin zu der Instanz, vor der ich Angst bekomme, wenn ich Unrecht unterstütze. Der Glaube lehrte mich die Vergänglichkeit meiner diesseitigen Existenz. Er lehrte mich, den Blick für das Wesentliche zu schärfen.
Und jetzt kurz vor 40 ergab sich auf natürliche Weise dieses Resultat: Glaube ist das Fundament und der Ausgangspunkt unseres Handelns. Egal, in welchem Bereich. Ob es die Beziehung zu mir selbst oder zur Familie ist. Ob es die Nachbarschaft oder die Arbeit ist. Egal, ob in der Wirtschaft oder Politik. Egal, ob in der Schule oder in Wissenschaft. Das, was wir glauben, ist entscheidend für das, was wir tun.
Aber wo der Glaube ist, ist Religion nicht weit. Und wo Religion ist, da sind jene Menschen, die anderen Menschen erklären, was sie glauben sollen. Sie formen ihnen ihr Gottes-, Welt- und Menschenbild. Sie erziehen sie so gesehen in einem von ihnen definierten Rahmen zu denken, den man selbst in der Regel nie hinterfragt und versucht dann innerhalb dieses Rahmen einen Sinn zu finden.
Ich habe selbst erfahren und erlebe es immer wieder, wie entscheidend die Verfassung des Glaubens ist. Ist es ein gesunder oder ein kranker Glaube? Für mich bedeutete es, alles umzukrempeln, alles zu hinterfragen, alles zu beenden, um endlich das wiederzufinden und zu erkennen, was es ist, worauf ein gesunder Glaube fußt.
Über all die Lehren, die ich oben aufzählte, verfügen auch die Gelehrten, die Imame, die Prediger. Nicht nur das! Sie lehren und verbreiten diese. Aber sie haben ihre eigenen Autoritäten, die sie nicht zu hinterfragen wagen. Dadurch müssen sie ihre Aussagen und Handlungen, die alles andere als fair und gerecht sind, rechtfertigen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als den ursprünglichen, gesunden und in der Tat universalen Glauben, so zu verzerren, damit ihre Autoritäten als großartige Idole schimmern.
tbc
Auf bald, Du schöne Seele!
Danke!